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Leitfossilien der Medizin

Koryphäen, Konzepte und Kontexte

Anlässlich des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufenen 12. Wissenschaftsjahr unter dem Motto „Forschung für unsere Gesundheit“ befasst sich die BZ-Herbstreihe „Leitfossilien der Medizin“ mit einigen Medizinkoryphäen und ihren Leistungen in der Geschichte der Medizin. Das Spektrum reicht von den antiken Gründervätern über die Erforschung von Bakterien und Viren bis zu den modernen bildgebenden Verfahren und ethischen Fragestellungen.

Mittwoch, 21.09.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Hippokrates von Kos und die Begründung der antiken Medizin

Prof. em. Dr. phil. Dr. med. habil. Renate Wittern-Sterzel, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg

Auf der Basis der vorsokratischen Theorien über die Entstehung des Kosmos und der Diskussionen der Sophisten über den Menschen und seine Stellung in der Welt wurde im Verlauf der zweiten Hälfte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts eine rationale Medizin entwickelt, die letztlich bis in die Neuzeit nachgewirkt hat. Der Vortrag stellt die philosophischen Quellen sowie Theorie und Praxis dieses neuen Konzepts vor, das in der Tradition als Leistung des Hippokrates von Kos gilt.

Mittwoch, 28.09.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Von Galen zu Avicenna – Griechische Medizin in Rom und in Bagdad

Prof. Dr. med. Karl-Heinz Leven, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg

Die griechische Medizin gelangte seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. nach Rom; einflussreichster Arzt wurde Galen aus Pergamon (129 - ca. 210 n. Chr.), der im Umkreis des Kaisers Marc Aurel (161-180 n. Chr.) tätig war. Die nunmehr als „hippokratisch-galenisch“ zu bezeichnende Medizin machte ihren Weg in den islamisch-arabischen Kulturraum. Herausragender Vertreter der arabisierten Medizin wurde der im Abendland als „Avicenna“ bekannte, aus Buchara (im heutigen Usbekistan) stammende (Universal-)Gelehrte Ibn Sina (* ca. 980 - 1037). Der Vortrag skizziert die Gesamtentwicklung der Medizin von der Antike bis in das Mittelalter und konzentriert sich auf den Kulturtransfer der griechischen Medizin nach Rom und nach Bagdad. In beiden Fällen wurde die griechische Medizin außerordentlich hochgeschätzt, doch gab es sowohl in Rom als auch in Bagdad zeitgenössische Stimmen, die hier eine Art „Verschwörung“ oder „Unterwanderung“ durch fremde Gelehrsamkeit mutmaßten.

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Mittwoch, 12.10.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Paracelsus – Mediziner oder Magier? Wissenschaftler oder Scharlatan?

Thony Christie, Erlangen

Paracelsus ist wahrscheinlich der bekannteste Arzt der deutschen Geschichte, aber auch der umstrittenste. Wer war er und was hat er tatsächlich gelehrt? Der Mann, sein Leben, seine Lehre und seine Wirkung werden in diesem Vortrag dargestellt und erläutert.

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Mittwoch, 19.10.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Von Vesal zu Harvey – Anatomie und Physiologie in Renaissance und Barock

PD Dr. Marion Maria Ruisinger, Deutsches Medizinhistorisches Museum, Ingolstadt

Die anatomischen und physiologischen Schriften des Galen von Pergamon prägten die Vorstellung vom Bau des menschlichen Körpers und vom Ablauf der Körperfunktionen bis weit in die Frühe Neuzeit hinein. Erst als die Anatomen in der Renaissance damit begannen, den menschlichen Körper zu zergliedern und sich selbst ein Urteil über dessen Bau zu bilden, verlor das galenische System allmählich an Überzeugungskraft. Der Vortrag zeichnet diesen Ablösungsprozess an einem zentralen Beispiel nach: der Frage der Blutbewegung.

Mittwoch, 26.10.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Von Wilhelm Conrad Röntgen zum MRT – Die bildgebenden Verfahren in der Medizin

Dr. Wolfgang Kunstmann, Siemens Health Care

Mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahr 1895 war es erstmals möglich, ohne Skalpell in den menschlichen Körper zu sehen. Die ersten Röntgenauf­nahmen waren eine Sensation und gingen um die Welt. Bei einer Aufnahmezeit eines menschlichen Schädels von zwölf Minuten war aber verglichen mit heutigen Standards relativ wenig zu erkennen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es dann zur Entwicklung anderer bildgebender Verfahren. Anfang der 1970er Jahre entwickelte Godfrey Hounsfield das Schichtbildverfahren der Computertomographie (CT) und verhalf dadurch der Röntgendiagnostik zu einem Entwicklungssprung.
1989 wurde das erste Spiral-CT in Kooperation mit dem Physiker Willi Kalender in den Markt eingeführt. Parallel dazu kam es zur Entwicklung eines weiteren bildgebenden Verfahrens, der Magnetresonanztomographie (MRT), die im Gegensatz zum CT mit einem sehr starken Magneten arbeitet, der die Protonen des Körpers zur Bildgebung verwendet.
Wichtige Unterstützung bekam die medizinische Bildgebung von der Informationstechnologie. Nur mit Hilfe extrem schneller Rechner ist es heute möglich, die vielen Daten aus dem Körperinneren für eine sinnvolle Diagnose einzusetzen.

Mittwoch, 02.11.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Von Rudolf Virchow bis Robert Koch – Zur Entwicklung der naturwissenschaftlichen Medizin im langen 19. Jahrhundert

Prof. Dr. Thomas Schnalke, Berliner Medizinhistorisches Museum

Zu Beginn des 20. Jahrhundert hat die deutsche Medizin einen exzellenten Ruf in der Welt. Kurz hintereinander gehen gleich drei Nobelpreise an bekannte Mediziner des Deutschen Reichs: Emil von Behring (1901), Robert Koch (1905) und Paul Ehrlich (1905). Die Grundlage für diese Blütephase wird im 19. Jahrhundert gelegt. Der Referent richtet seinen den Blick vor allem auf die Entwicklungen in Berlin und versucht nachzuzeichnen, wie sich die Medizin – zwischen Seziersaal und Labor – darum bemüht, eine Naturwissenschaft zu werden. Dabei fahndet etwa der Pathologe und Sozialmediziner Rudolf Virchow nach der kleinsten kompletten Einheit des biologischen Lebensund Robert Koch ist den Bakterien auf der Spur. Zu fragen bleibt, was aus der Forschung am Krankenbett ankommt und wie es für die Patienten Nutzen bringt.

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Mittwoch, 16.11.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Ignaz Semmelweis – Die Grundlegung einer Hygiene ohne Erreger

Prof. Dr. Fritz Dross, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg

Der Vortrag möchte anhand der „Leitfossilie“ Ignaz Semmelweis (1818–1865) eine vielschichtige Gesteinslage erkunden: die Situation der wissenschaftlichen Hygiene in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Überlegungen zur Krankheitsübertragung und zum Einfluss der natürlichen, technischen und sozialen Umwelt auf die Gesundheitsverhältnisse, die sämtlich ohne die Hypothese eines belebten Krankheitserregers auskommen, haben unser Verständnis von günstigen Lebensverhältnissen nachhaltig geprägt.

Mittwoch, 23.11.2011, 19:00 – 20:30 Uhr

Medizinische Koryphäen zwischen Eid und Ärzteprozess – Die Tradition ethischer Ideale im Kontrast zur historischen Realität

Prof. Dr. med. Andreas Frewer, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg

Die naturwissenschaftliche Medizin hat seit Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutende Entdeckungen gemacht und auf diese Weise zusammen mit der Verbesserung von hygienischen und sozialen Rahmenbedingungen zu einer wesentlichen Verlängerung der Lebenszeit des Menschen beigetragen. Dafür werden bekannte „Koryphäen“ der Medizin zu Recht geehrt. Der Aufstieg der immer mächtigeren Heilkunde und speziellerer Forschung hat im 20. Jahrhundert jedoch auch Schattenseiten hervor­gebracht, die eigentlich durch ethische Selbstverpflichtungen in Eiden und Gelöb­nissen der ärztlichen Profession ausgeschlossen sein sollten. In besonderer Weise hat sich im Dritten Reich eine „Medizin ohne Menschlichkeit“ verdichtet: Auf der Anklagebank im Nürnberger Ärzteprozess saßen durchaus bekannte und akademisch profilierte Täter, die wie viele zeitgenössische Koryphäen die Gefahren der NS-Medizin nicht erkannten.
Der Vortrag schlägt einen Bogen von „hippokratischen Idealen“ ärztlichen Handelns hin zu Problemen und Abgründen der modernen Medizin – der Blick auf die Medizin­ethik der jeweiligen Phase hilft zur differenzierten Wahrnehmung.

Veranstalter: Bildungszentrum Nürnberg, Fachgruppe Naturwissenschaften und Planetarium
Einschreibung Reihe 39 € (BZ-Kurs-Nr. 00 830), Einzelkarte vor Ort je 7/5 €
Ort: Nicolaus-Copernicus-Planetarium
Am Plärrer 41
Nürnberg
http://www.planetarium-nuernberg.de
Konzeption: Cauchy-Forum-Nürnberg e.V.
Interdisziplinäres Forum für Mathematik und ihre Grenzgebiete
Pierre Leich, Günter Löffladt
Kooperationspartner: Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg
Zentralinstitut für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation der Universität Erlangen-Nürnberg